Freitag, 19. Februar 2016

Deine, meine, unsere Fantasy-Welt Teil 2: Karten und Verknüpfung von Zivilisation und Umwelt

Welt


Im ersten Teil dieser kleinen Artikelreihe haben wir gesehen, worauf bei der Erschaffung eines eigenen Fantasy-Volks zu achten ist.
Du weißt nun, dass du dich nicht einfach über jegliche Gesetzmäßigkeiten und Logik hinwegsetzen kannst (wie die Königin deiner kleinen Welt), sondern die Besonderheiten und Charakteristika deiner Schöpfung entdecken und in ihre Lebensweise einbetten solltest (wie der Forscher inmitten der Gesellschaft). Fühl dich davon nicht eingeschränkt - im Gegenteil: Setze dich über die Grenzen des Unmöglichen hinweg, indem du es tatsächlich möglich machst. Und das bedeutet, es so darzustellen und zu begründen, dass keinerlei Zweifel an seiner Existenz besteht.
Natürlich sprechen wir hier immer noch von Fantasy-Welten, von dir erschaffenen Settings, darum meine ich mit meinen Ausführungen nicht, dass du fantastische Elemente auslassen oder keinen Raum für Geheimnisse lassen sollst. Du solltest sie nur sinnvoll einsetzen, nach deinen eigenen Regeln festgelegt und an der richtigen Stelle in der Geschichte eingefügt.

Karten - Zwischen Orientierung und Verwirrung


Bevor du deinen Prinzen kennenlernen darfst, wollen die Feen-Menschen, dass du etwas über ihre Heimat lernst. Skeptisch beobachtest du, wie sie eine magische Apparatur vor deinem Thron aufbauen. Mit ihren sechs Armen ist das schnell geschafft und kurze Zeit später leuchtet ein Bild auf und schwebt, ähnlich einem Hologramm, in der Luft. Du fragst dich schon gar nicht mehr, wo sie das alles her haben und wie die Magie funktioniert - eine Antwort bekommst du sowieso nicht. Also betrachtest du die halb durchsichtigen Linien etwas genauer und stellst bald fest, dass dort vor dir eine Karte ausgebreitet liegt. Es sieht aus wie ein Luftbild, so detailgetreu ist alles dargestellt, und die Erhebungen und Senken sind fein herausgearbeitet.
Während du noch überlegst, welche Stelle du zuerst unter die Lupe nehmen sollst, tritt einer der Flügelmänner vor und beginnt dir einen Vortrag über die verschiedenen Orte zu halten. Er zeigt dir, wo die Hauptstadt liegt, hält sich an langen Ausführungen über jeden kleinen Hügel und selbst das winzigste Dorf auf und nennt dir unzählige Namen und Einzelheiten, die du dir niemals wirst merken können. Irgendwann hörst du ihm einfach nicht mehr zu. Mit baumelnden Beinen, den Kopf auf die Hand gestützt, sitzt du gelangweilt auf deinem Thron. Dass du von Zeit zu Zeit vielsagend gähnst, scheint keinen deiner neuen Untertanen zu stören. Kein einziges Mal hält dein Lehrer inne, stundenlang redet er weiter.
Als er dann verstummt und dich erwartungsvoll ansieht, wagst du kaum zu hoffen. Du rappelst dich etwas auf, streckst Arme und Beine, dass ein unangenehmes Knacken zu hören ist, und fragst mit einem erleichterten Lächeln, ob sie nun fertig seien. Verblüfft weist dich der Flügelmann darauf hin, dass er bisher nur über das Land Schleenwind gesprochen hat, aber noch nicht über die anderen dreihundertachtundachtzig Länder des Kontinents Utopia. Stöhnend sinkst du in deinen Thron zurück.
Das würde eine lange Nacht werden.

Viele legen sich gerne Karten an, um sich in ihrer Welt zu orientieren zu können und dem Ganzen eine feste Gestalt zu geben. Ich selbst mache das auch gerne, allerdings fokussiere ich mich zuerst auf den allgemeinen Ort des Settings und den Verlauf der Story mit der Intention und dem Motiv, auf das ich hinaus will. Während dieser Ideensammlung mache ich mir dann schon Notizen zu einzelnen Orten.
Allerdings halte ich mir eines immer wieder vor Augen: Selbst. wenn ich nur einen kleinen Ausschnitt Deutschlands, sagen wir eine Kleinstadt plus Umgebung, darstellen möchte, würde ich stundenlang an der Aufzeichnung jeder Einzelheit sitzen. Die Landschaft und die ganze Zivilisation ist so vielfältig, es gibt so viele unterschiedliche Biotope, die sich in irgendeiner Weise zusammenfügen lassen und voneinander abhängen, so viele intra- und intersystemisch ablaufende Prozesse, dass man sich, wie in jeder Karte auch, auf einen wesentlichen Punkt oder zumindest einen kleinen Bereich dieser Aspekte beschränken muss.
Nichts weiter als ein Modell der viel komplexeren Wirklichkeit.
Und nun möchten du und ich, möchten wir, eine Karte einer ausgedachten Welt anlegen, müssen diese Gesetzmäßigkeiten, denen sie folgt, selbst erarbeiten. Vieles lässt sich vielleicht mit Magie erklären, aber auch diese muss irgendeine Quelle haben, und kann nicht alles determinieren.
Aus diesem Grund lege ich nie die Karte meiner gesamten Welt an, sondern nur den Ausschnitt, in der die Geschichte spielt. Natürlich bin ich mir der restlichen Welt bewusst, habe vielleicht schon Ideen, wo dies und das noch liegen könnte, aber solange ich diesen Ort nicht in einer Geschichte äußere, wird er auch nicht in der Karte konkretisiert. Das hat den Vorteil, dass ich in der Entwicklung neuer Ideen noch relativ frei bin. Ich kann hinzufügen, was ich möchte, da ich vorher mit mir selbst vereinbart habe, dass die Karte unvollständig ist und nur handlungsrelevante Orte zeigt. Meistens fallen mir die besten Ideen während des Schreibens ein, wenn ich voll und ganz in der Story und den Charakteren stecke.
Ich weiß, dass es Schreiberlinge gibt, die erst die ganze Welt durchplanen, und ziehe meinen imaginären Hut vor ihnen. Mich würde die Gewissheit, dass immer etwas fehlt, ich aber trotzdem alles endgültig festgelegt habe, immer wieder hemmen. Außerdem würde ich wohl ewig brauchen, um alles zu meiner Zufriedenheit aufzuzeichnen - Zeit, die ich lieber zum Schreiben nutze.

Wie wir an dem Beispiel oben sehen konnte, ist es auch für den Leser wesentlich angenehmer, wenn er nicht die ganze Welt auf einen Schlag erklärt bekommt. Erstens wird das besonders auf den ersten Seiten eines Buches langweilig, da außer Informationen ja nichts passiert, und zweitens bleibt dann kein Raum für Geheimnisse und Entdeckungen gemeinsam mit dem Protagonisten.
Informationen, ob nun zu der Welt oder zur Hintergrundgeschichte der Figuren, solltest du stückchenweise mit einbinden. Und einbinden heißt, sie im besten Falle nicht nur aufzuzählen, sondern tatsächlich zu zeigen. Oder zumindest an den richtigen Stellen einzustreuen, wo sie dann auch passen und Relevanz besitzen.

Also, ich fasse zusammen:
Weltkarte

  • Sich Karten zur Entwicklung der Topographie zu zeichnen, ist gut und hilfreich.
  • Fange aber nicht mit der Karte an, sondern mit der Geschichte und den Völkern, die dahinter stecken.
  • Beschränke dich auf die relevanten Punkte und stelle nur den Ausschnitt dar, der auch für deine Geschichte wichtig ist und dort auftaucht.
  • Lasse dir Raum für neue Ideen, solange du noch in der Planungs- und Schreibphase bist.
  • Bette die Informationen in die Handlung deiner Geschichte ein. Zähle sie nicht nur auf, sondern zeige sie. Versuche abzuwägen, was an dieser Stelle tatsächlich Relevanz besitzt - und was du im Grunde weglassen könntest. Bevor du es aber weglässt, frage dich auch, ob es vielleicht trotzdem zur Reichhaltigkeit deiner Geschichte beitragen könnte, um die Welt lebendiger darzustellen.


Verknüpfung von Zivilisation und Umwelt - Der Raum ist kein Container


Doch wie geht es weiter mit unseren neuen Freunden, den Höhlengnomen?

Schnell stellen die kleinen Wesen fest, dass du keine weiteren Blaubeermuffins besitzt. Wie sehr sie auch versuchen, dich mit Gesten und unverständlichen Worten nach mehr dieser Köstlichkeit anzuflehen, deine Taschen sind leer. Das zeigst du ihrem Anführer auch, indem du sie nach außen stülpst und nur einige Krümel herausfallen. Auf diese stürzt sich der Rest der Horde zwar, doch dann können sie dich nur traurig mit großen Augen anstarren. Bedauernd zuckst du die Achseln und hoffst, die Höhlengnome seien vegetarisch veranlagt und nähmen nun nicht mit deinem Fleisch vorlieb, da du ihnen keine weitere Nahrungsquelle lieferst.
Tatsächlich umkreisen sie dich nun und kommen dabei immer näher. Du kannst ihr intensives Schnüffeln vernehmen und stehst stocksteif da. Sie berühren deine Kleidung immer wieder flüchtig und murmeln sich etwas zu.
Prüfen sie, ob du ihnen auch schmecken wirst? Oder wie viele hungrige Mäuler mit deinem Fleisch gestopft werden können? Unterhalten sie sich vielleicht gerade angeregt über die bevorzugte Zubereitungsart für Menschenfleisch?
Plötzlich löst sich die kleine Gruppe um dich herum auf und verteilt sich in alle Richtungen, um zwischen den Felsen zu verschwinden. Nur der erste Gnom, der den Blaubeermuffin verspeist hat, bleibt mit dir zurück. Er sagt noch etwas zu seinen Freunden, dann streckt er die Hand nach dir aus. Stirnrunzelnd starrst du diese an, verstehst nicht, was er von dir will. Noch mehr Muffins hast du nicht, also deutest du wieder auf deine leeren Taschen und schüttelst den Kopf.
Im selben Moment greift das kleine Wesen nach deiner Hand und zieht sie leicht in seine Richtung. Unweigerlich zuckst du zusammen, dann die schmalen Finger des Gnoms fühlen sich ganz klamm und knochig an. Endlich aber verstehst du, was er von dir möchte, und folgst ihm in einen Tunnel; zuerst noch langsam, dann immer schneller, als du am anderen Ende vagen Lichtschein erkennen kannst, der umso heller wird, je näher du ihm kommst. Der Muffin muss die Höhlenbewohner wohl gnädig gestimmt haben, denkst du und glaubst, die bringen dich zur Oberfläche zurück. Dort wirst du dann endlich deine Forschungen fortführen können.
Dieser Gedanke löst sich schlagartig in Rauch auf, als ihr das Ende des Tunnels erreicht. Vor dir erstreckt sich eine riesige Höhle, die bis weit nach oben reicht und links und rechts weitläufig verzweigt ist. Erhellt wird das Ganze durch unzählige kleine Pilze, die überall an den Wänden wachsen und fluoreszierendes Licht verbreiten. Was du anfangs für weitere Felsformationen gehalten hast, entpuppt sich als ein Geflecht von Bauwerken unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit. Es ist zu weit weg, in der Mitte der Höhle, um Einzelheiten ausmachen zu können.
Erst jetzt bemerkst du, wie jemand von der Seite her vor dich tritt und dir den Weg versperrt.
Das Geschöpf hat den Gnomen ähnliche fahle Haut und große, dunkle Augen, allerdings ist es nicht behaart, sondern trägt einfache Kleidung aus einem eigentümlichen Material. Auch läuft es nicht auf allen Vieren, steht stattdessen aufrecht vor dir und trägt zu allem Überfluss einen Speer in der Hand.
Zahnräder

  • Gestalte dein Setting und die Umwelt außergewöhnlich. Zeichne sie durch ein hervorstechendes Merkmal heraus, dass zu einem wiederkehrenden Motiv in der Geschichte werden kann.
  • Passe deine Schöpfung an ihre Lebensweise an und sei auch hier kreativ, indem du individuelle Ausprägungen innerhalb der Gesellschaft herausarbeitest. Beispielsweise sind wir zwar alle Menschen, aber nicht alle gleich. Das gleiche sollte für dein Fantasy-Volk gelten.
  • Setze aber hier nur jene Eigenschaften ein, die du auch begründen kannst.
  • Überlege dir dazu zuerst, wie die Gesellschaft deiner Schöpfung in sozialen und wirtschaftlichen Punkten funktionieren soll, inwiefern sie mit anderen interagieren oder in Verbindung stehen und welche Rolle sie innerhalb der Welt einnehmen (die zurückgezogen lebende Spezies, das nach Macht strebende kriegerische Volk oder der diplomatische, im trügerischen Frieden lebende Stadtstaat, um hier nur einige Beispiele zu nennen).
  • Erst dann lege auch die Umgebung fest, nach dem Motto: Der Mensch (beziehungsweise die Spezies) formt den Raum - der Raum ist kein Container. Das ermöglicht dir eine komplexe Verknüpfung zwischen an die Umwelt angepasster Lebensweise und gesellschaftlich geformten Umständen.
  • Lasse deine Leser diese Verknüpfungen, wie schon bei den Informationen über die Welt, Schritt für Schritt selbst entdecken, indem du deine Schöpfung entsprechend handeln lässt.

Wenn du eine Welt für deine Geschichte entwirfst, gehören die Motive des Protagonisten zu den wichtigsten Folgen, dir daraus resultieren. Das sind meistens Probleme, ob nun persönlicher und individueller Natur oder solche, die ein ganzes Land oder das gesamte Volk des Helden bedrohen. Wie die besondere Stellung deines Protagonisten aussieht, werde ich im dritten Teil dieser kleinen Artikelreihe aufgreifen.
Bis dahin: Frohes Schaffen an den Zahnrädchen deine Fantasy-Welt. Und nicht vergessen: Eine Notbremse einbauen, falls das Uhrwerk außer Kontrolle gerät.



Fortsetzung folgt...




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