Samstag, 21. Mai 2016

Vier Dinge, die nach dem letzten Satz im Manuskript passieren können





Monate- oder vielleicht sogar jahrelang hat uns das aktuelle Projekt begleitet, über Schreibblockaden und Flows hinweg. Wir nennen es unser 'Baby', unser eigen Fleisch und Blut, mit Tränen und Schweiß aufs Papier gebracht. Es hat uns teilweise in die Verzweiflung getrieben, doch trotzdem sind uns die Charaktere, unsere Figuren, ans Herz gewachsen - jeder einzelne von ihnen. Wir haben sie auf ihrer Reise begleitet, mitgefiebert, wenn sie sich wieder einmal verselbstständigt haben und beherzt eingegriffen, um Plot Holes zu schließen, die Handlung wieder in die richtigen Bahnen zu lenken und nachzuhelfen, wo sie noch unentschlossen waren.
Und nun... Ist es vorbei. Der letzte Satz ist geschrieben, das Schlusswort gesprochen und die investierte Zeit, das Herzblut und die Arbeit, haben sich gelohnt. Unser Roman ist beendet. Egal, ob mutig drauf los geschrieben oder nach akribischer Planung in den Computer gemeißelt, in einem Rutsch oder mit monatelanger Verzögerung: Früher oder später sind wir am Ende angelangt. Wir sind stolz als Schreiberlinge, ob es sich nun um das fünfte vollendete Werk handelt oder das erste. Ungeahnte Energie, Freude, durchströmt uns.
Und doch realisieren wir erst jetzt, welchen Schmerz dieses kleine Wort 'Ende' birgt. Wir haben ihn erahnen können, als wir unser Lieblingsbuch fertig gelesen hatten, erfühlen können zwischen den Zeilen und der Leere, die uns erfasste. Mit dem eigenen Manuskript erhält diese Wehmut eine ganz andere Dimension.

Je nach Typus des Schreiberlings und seinem individuellen Bestreben gibt es nun verschiedene Möglichkeiten, was nach dem letzten Satz im Manuskript geschehen kann.


Variante 1: Der Workaholic

Der Workaholic weiß, dass es mit der Rohfassung seines Manuskript noch nicht getan ist. Vor ihm wartet ein ganzer Haufen Arbeit und er ist fest entschlossen sich diesem zu stellen. Er fügt Szenen hinzu, löscht sie raus, arbeitet an Aufbau, Stil und Figuren und nichts kann ihn davon abhalten, den PERFEKTEN Roman zu schreiben. Er ist sich darüber bewusst, dass eine gewisse emotionale Distanz zu seinem Manuskript und den Figuren nötig ist und hält sich deshalb nicht länger als nötig an wehmütigen Erinnerungen auf.


Variante 2: Der Träumer

Wie schnell der Träumer die Phasen der Trauer durchlebt, ist ganz unterschiedlich. Allerdings enden sie immer mit einer neuen Idee, die den Träumer über Nacht packt oder darauf gewartet hat, aus der Ideenkiste gezogen zu werden. Ähnlich wie jemand, der sich nach einer schweren Trennung in die nächste große Liebesgeschichte stürzt, widmet sich der Träumer dem nächsten Projekt, bei dem er von Anfang an wieder Feuer und Flamme ist. Das erste Manuskript ist schnell vergessen oder als nagender Hintergedanke in der Schreibtischschublade verschwunden. Entweder heißt es dann, er würde es zu einem späteren Zeitpunkt überarbeiten oder es folgen Wehklagen darüber, wie schlecht er damals doch geschrieben hat und um wie viel besser seine derzeitige Idee doch ist. Eines sind Träumer aber auf jeden Fall: Produktiv und leidenschaftlich.


Variante 3: Der Lebensgefährte

Im Gegensatz zum Träumer kann der Lebensgefährte nicht loslassen. Er schwelgt in Erinnerungen über seine Geschichte und setzt sich intensiv mit den Figuren auseinander, verwendet sie in RPG's, arbeitet sie immer weiter aus und gestaltet die Welt und den ganzen Plot. Wenn der Lebensgefährte gleichzeitig produktiv ist, wird er an Fortsetzungen seines Manuskripts arbeiten, die sich ins Unendliche durchnummerieren lassen. Hier liegt wiederum seine Gemeinsamkeit zum Träumer. Für den Lebensgefährten ist der Schmerz nach der Fertigstellung eines Projekts wohl am größten - weshalb er ihn gar nicht erst ertragen möchte oder kann und deshalb einfach weiter daran arbeitet.

Variante 4: Der Winterschläfer

Selbstzufriedenheit möchte man dem Winterschläfer nicht unterstellen: Er hat allen Grund, stolz auf sich zu sein und die Freude über die Fertigstellung der Rohfassung überwiegt dabei die Wehmut. Nicht selten verkündet der Winterschläfer überall, dass er es endlich geschafft hat. Nicht selten macht er auch Pläne, wie es mit dem Manuskript und seiner Schreiberei weitergehen soll. Zuallererst gönnt er sich aber eine Pause, um seiner Kreativität neuen Raum zu geben. Und immerhin ist da ja noch der Alltag oder andere wichtige Projekte, die seine Aufmerksamkeit fordern. So vergeht die Zeit für den Winterschläfer bis zum schreibtechnischen Frühling, der dann ganz individuell ausfällt.


Welche Varianten und Autortypen kennt ihr noch? Wie habt ihr selbst das Ende eures Manuskripts empfunden und welchem Typus würdet ihr euch zuordnen?


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen