Dienstag, 9. Februar 2016

Deine, meine, unsere Fantasy-Welt Teil 1: Setting und Schöpfung - Dos und Don'ts


Welt entdecken

Ich habe bereits darüber gesprochen, wie ich vor dem Schreiben vorgehe, um Plot und Charaktere zu entwickeln [Von der Idee zum (fertigen) Konzept].
Nun ist es natürlich etwas schwierig, ohne Setting einen Plot für ein Projekt zu entwerfen. Wie kann ich wissen, wohin der Protagonist als nächstes geht und was er dort tut, wenn ich die Welt nicht vor Augen habe? Und determiniert die Welt dabei den Plot oder kann ich sie beliebig anpassen, wie ich sie gerade in meiner Geschichte und für eine spannende Handlung brauche? Was muss ich alles beachten, wenn ich eine eigene Welt mit all ihren Instanzen, Bewohnern und Naturgesetzen plane?

Das sind so die Fragen, die ich mir gestellt habe und auf die ich versuche eine Antwort zu finden, indem ich wieder einmal meine Gedanken niederschreibe und reflektiere, wie ich vorgehe. Da ich vorwiegend in Fantasy-Welten schreibe, wird es auch hauptsächlich um diese gehen - die gegebene Welt kann zwar ebenfalls verändert werden und die Geschichte darum kreisen, aber da sie Regeln folgt, die fest in unseren Köpfen sind, muss man sie irgendwie daran anpassen und ist nicht ganz so frei wie in der eigens erfundenen Welt.
Aber auch nicht ganz so allein und verloren...



Setting - Ort der Handlung festlegen


Stell dir vor:
Plötzlich wirst du in eine Umgebung hineinkatapultiert, die dir vollkommen fremd ist. Zuerst siehst du vielleicht eine Stadt, nicht weit entfernt, mit hohen Mauern und Türmen, links davon mächtige Berge, die in der Ferne mit dem Himmel verschmelzen; das Land davor und bis zur Stadt ist offen und leicht hügelig. Das klingt doch recht vertrauenerweckend und du verlässt deine Position auf der Hügelkuppe und schreitest mutigen Schrittes in Richtung Stadt - schließlich weißt du, dass du in einer fremden Welt bist und bist hergekommen, um diese zu erforschen.

Anders verhält es sich vielleicht in diesem Setting:
Deine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit, die sich wie ein Mantel um dich gelegt hat und dir die Luft zum Atmen nimmt. Allmählich erkennst du gezackte Felsspitzen vor dir, siehst steinerne Wände und hörst ein stetes Tropfen von irgendwo her, das um dich herum wiederhallt. Du bist in einer finsteren Höhle, doch bist du auch hier nicht allein. Von überall wispern leise Stimmen, du spürst Gestalten umher schleichen und weißt, dass ihre Augen auf dich gerichtet sind.

Zwei unterschiedliche Szenen, aber mit beiden verfolge ich dieselbe Aussage: Wenn du in einer fremden Welt ankommst, ist das erste, was du aufnimmst und siehst, deine Umgebung: Die Landschaft, die Natur und vielleicht auch schon einige Bewohner. Genau das plane ich zuerst oder anders gesagt: Ich wähle den Ort für meine Geschichte. Das kann ein recht einfaches, ländliches Gebiet sein mit einigen Dörfern und einer Hauptstadt oder eine Wüste, Miene, ein arktisches Schneegebiet... Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn die die Idee zu einer Geschichte hast, ist dieses Setting meistens auch schon darin beinhaltet. Denkst du dir beispielsweise die Geschichte einer verschleppten Prinzessin aus, stellst du dir im selben Atemzug vor, wohin sie verschleppt wird. Dann fängst du an, die Umgebung zu beschreiben: Die Lage innerhalb der Welt oder eines Landes, die Vegetation, klimatische Bedingungen, besondere Orte, die du später auch in deine Geschichte einbringen möchtest, und vieles mehr.
Wie weitläufig und umfangreich du planst, ist dir überlassen. Ich plane meistens die Grunddaten meines Settings und trage die restlichen Informationen während des Schreibens zusammen. Das mache ich, weil ich beim Schreiben der Geschichte meistens ein viel besseres Gefühl für die Umgebung bekomme.

Was du allerdings nicht tun solltest: Die ganze Geschichte nur auf dem Setting aufbauen, wenn es nicht mit zumindest einer vernetzenden, handlungstragenden Idee verbunden ist. Mit einer Idee oder einem Konzept ist immer auch ein Grundgedanke verbunden und der sollte nicht unbedingt von der Tatsache abhängig gemacht werden, dass du unbedingt mal eine Geschichte schreiben wolltest, die zum Beispiel in einem alten Schloss (alias Zauberschule) spielt. Das kann als Impuls dienen, sollte dann aber in der Ideenfindung eingebunden werden.


Völker und Geschöpfe selbst entwickeln: Worauf du achten solltest


Nun, du hast dich also mutig und voller Forscherdrang in die Stadt am Berg begeben. Du betrachtest die Mauern, Türme und Häuser und notierst dir alles in dein gedankliches Notizbuch (wenn du tatsächlich ein Notizbuch dabei hast, ist das natürlich genauso gut). Natürlich begegnest du auch den ersten Bewohnern dieser eindrucksvollen Stadt: Flügelschwingend verstreuen sie bei jeder Bewegung bunten Feenstaub, jeder von ihnen hat sechs Arme und du kannst dich gar nicht entscheiden, wie du den vielen verschiedenen Augenfarben auch nur eine passende Bezeichnung geben kannst. Der kühle Wind macht ihnen augenscheinlich nichts aus, denn sie sind nur leicht bekleidet und die Oberkörper der Männer sind sogar nackt. Sie stehen ziellos in der Gegend herum, anstatt sich mit irgendetwas zu beschäftigen, etwas zu essen oder zu arbeiten (obwohl du darüber eigentlich ganz froh bist, denn so singen und tanzen sie wenigstens nicht...).
Das ändert sich schlagartig, als du in ihre Mitte trittst und dich etwas verlegen umsiehst. Von einem Moment auf den anderen kommt Leben in die ganze Stadt und der Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit - bist du. Lachend kommt eine ganze Gruppe auf dich zu, verstreut dabei ihren Feenstaub und nimmt dich ohne Umschweife in ihre Mitte. Verdattert stemmst du dich gegen ihre starken sechs Arme, doch natürlich hast du keine Chance. Erst, als sie dir munter erklären, du wärst die auserwählte Königin, auf die sie schon so lange gewartet haben, wirst du hellhörig. Du möchtest wissen, warum gerade du auserwählt worden bist, da jeder der geflügelten Menschen eigentlich um ein Vielfaches stärker und schöner ist. Und immerhin ist das hier ihre Heimat und nicht deine. Sie lachen nur und zeigen dir den Garten des Schlosses. Du hinterfragst ihr seltsames Verhalten erneut und sie führen dich durch einen wahrhaftigen Circus aus magischen Wesen und Tieren aller Art. Die gehören dir, sagen sie. Du kannst sie nach Belieben benutzen.
Träge geworden lässt du dich also mitschleifen und auf einen Thron in einem riesigen Saal setzen. Die Flügelmänner gehen den Prinzen holen, den du heiraten sollst, und lassen dich kurz allein.
Das alles hier kommt dir äußerst unlogisch vor und du spielst auch einen Moment mit dem Gedanken, in deine Welt zurückzukehren. Andererseits ist dieser Thron außerordentlich bequem.

Kam das jetzt überraschend? Hast du mit normalen Menschen gerechnet, die ihrer Arbeit nachgehen, und auf den ersten Blick nichts Magisches an sich haben? Fragst du dich gerade, warum du plötzlich zur Königin ernannt worden bist? Oder wie ein Geschöpf so viele unnütze Eigenschaften und Körperteile auf einmal besitzen kann? Dabei ist es doch so bequem, alle Mittel hemmungslos zu nutzen, die dir zur Verfügung stehen...

Was wir aus diesem Beispiel gelernt haben:
    Krone
  • Überraschungen sind gut. Wenn du den Leser mit etwas konfrontierst, womit er nicht gerechnet hat, ist das spannend. Allerdings solltest du es nicht übertreiben und ihm eine Kultur oder eine Instanz präsentieren, bei der ihr nur genervt die Augen verdreht oder nicht mehr nachvollziehen kann, worum es eigentlich geht.
  • Schmeiße bei der Entwicklung deines eigenen Volks nicht mit Eigenschaften um dich. Und auch nicht mit zusätzlichen Gliedmaßen. Vor allem dann nicht, wenn diese überhaupt nicht mit der Lebensweise deiner Schöpfung zusammenpassen.
  • Statte ein Volk nicht nur mit Stärken und positiven Eigenschaften aus, sondern lass sie auch Schwächen und Probleme bewältigen. Das ist nicht nur authentischer, sondern auch spannender.
  • Gebe der Gesellschaft eine Struktur. Überlege dir, was deine Schöpfung außerhalb deines Handlungsstrangs macht. Um beim Thema der Authentizität zu bleiben: Jede Gesellschaft ist in irgendeiner Form organisiert, ob nun gut oder schlecht (beides bietet Potential).
  • Hinterfrage deine eigenen Entscheidungen und lass dich nicht einfach auf dem Thron über deiner Schöpfung nieder. Von dieser Position aus könntest du zwar alles durchsetzen, was dir gerade so einfällt, aber:
  • Versuche, logisch zu bleiben.


Zurück in der Höhle:
Immer noch stehst du wie angewurzelt da und schielst mit langsam wachsender Panik nach allen Seiten. Die Stimmen kommen näher, werden lauter und verstummen oder entfernen sich, bevor du ihre Besitzer im Zwielicht ausmachen kannst. Tapsige Schritte auf feuchtem Stein.
Schließlich schleicht sich eines der Wesen näher an dich heran und offenbart sein Aussehen, indem es in den Lichtstrahl tritt, der durch einen Spalt in der Höhlendecke dringt. Runde, schwarze Augen starren dich an. Das gnomähnliche Geschöpf ist spärlich mit borstigen Fellbüscheln bedeckt, die darunter leichenblasse Haut zeigen. Es bewegt sich auf allen Vieren, obwohl es Arme und Beine wie du hat. Doch es lauert am Boden auf jede deiner Bewegungen.
Vor Schreck ziehst du scharf die Luft ein und stolperst einen Schritt zurück. Du bist dir sicher: Jetzt ist es aus mit dir. Du bist am falschen Ort zur falschen Zeit gelandet. Diese Geschöpfe der Nacht werden dich bei lebendigem Leib verspeisen.
Plötzlich, durch die hastige Bewegung, fällt dir etwas aus der Tasche: Ein Blaubeermuffin, den du noch als Proviant eingesteckt hast (und wenn nicht, habe ich ihn dir halt in die Tasche geschmuggelt - es geht ums Prinzip!). Mit einem Satz stürzt sich der Höhlen-Gnom-Mensch auf den unbekannten Gegenstand, schnüffelt kurz daran und beißt schließlich herzhaft hinein. Etwas angeekelt von den schmatzenden Geräuschen siehst du verblüfft dabei zu, wie er den ganzen Muffin verspeist. Als er dann zu dir aufblickt, den Mund mit Blaubeersaft verschmiert und noch einige Krümel am Kinn, schleicht sich ein seliges Lächeln auf sein hässliches Gesicht. Der Gnom stößt einen kehligen Schrei aus, Worte in einer dir fremden Sprache, wie du feststellst. Denn plötzlich bist du von der ganzen Horde umringt. Ihr Anführer hüpft auf dich zu und du widerstehst dem Drang, zurückzuweichen. Ganz behutsam deutet er mit einem seiner langen Finger auf deine Tasche und haucht ein einzelnes Wort. Obwohl du ihn nicht verstehen kannst, liest du eines ganz deutlich in seinen Augen und in denen der anderen Gnome - ein Gefühl, das dir selbst nicht ganz fremd ist: Ein nicht zu unterdrückendes Verlangen nach Blaubeermuffins.

Was wir aus diesem Beispiel zu unserer Liste hinzufügen können:
Lupe

  • Noch einmal: Überraschungen sind gut. Sei kreativ und orientiere dich nicht ausschließlich an den Normen und Vorgaben bereits existierender fantastischer Völker.
  • Passe dein so selbst entwickeltes Volk an seine Lebensweise an, sowohl im Aussehen als auch in ihren Verhaltensweisen.
  • Zeichne sie durch etwas aus, das ihr Handeln begründet. Das kann wie in diesem Beispiel ganz einfach die Vorliebe für irgendein Lebensmittel sein.
  • Gehe sparsam und bedacht mit anatomischen Veränderungen und besonderen Eigenschaften um. Begründe diese für dich selbst.
  • Denke daran, dass es schwer zu erklären ist, warum alle Völker und Geschöpfe deiner Fantasy-Welt ein und dieselbe Sprache sprechen sollten. Du musst und sollst auch nicht für jedes Volk ein eigenes Sprachsystem entwickeln. Ich begnüge mich damit, einige fremde Wörter aufzunehmen und andere Sprachen und Dialekte in der Geschichte mittels der Gedanken des Protagonisten auszudrücken. Wenn du eine ganze Sprache selbst entwickelst und die dann auch noch praktisch funktioniert: Respekt!
  • Sei nicht die statische Königin, für die von ihrem Thron aus alles möglich ist, sondern der dynamische, kritische Forscher.

Diese beiden Beispiele sind natürlich absichtlich übertrieben dargestellt und sehr gegensätzlich formuliert. Es ging mir wie gesagt erstmal nur um das Prinzip, die Dos und Don'ts anschaulich darzustellen - kein Anspruch auf Vollständigkeit!

Fortsetzung folgt...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen